Die Predigt zum Basilika-Jubiläum

Die Predigt von Generalvikar Prälat Michael Fuchs anlässlich des 50. Jubiläums der Erhebung der Stiftskirche zur Päpstlichen Basilika am 15.09.2019.

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Vor kurzem hat die deutsche Bundesregierung eine neue Alphabetisierungs-Initiative angekündigt. Geschätzt gibt es in Deutschland 6 Millionen funktionale Analphabeten, also erwachsene Männer und Frauen, die vielleicht einzelne Buchstaben kennen, aber nicht zusammenhängend lesen und schreiben können.

Wie ist es da in unserem Glauben? Geht es uns nicht manchmal so, dass wir zwar die einzelnen Buchstaben des Glaubens kennen, einzelne Überzeugungen, einzelne Bräuche, Traditionen und Bilder, aber wie das alles zusammenhängt, was es für uns bedeutet, da tun wir uns schwer?

  1. Das Kreuz 
    ist so ein Buchstabe unseres Glaubens. Jeder kennt es, aber können wir es in Zusammenhängen lesen und deuten?

Wir tragen es oft als Schmuck, verzieren es. Aber im Kern ist es ein Zeichen der Schande. Römische Bürger durften damit gar nicht getötet werden, sie wurden einfach enthauptet. Welcher Schmerz muss es für die Mutter Jesu gewesen sein, ihren Sohn an diesem Schandpfahl hängen zu sehen?

Für die tschechischen Grenzpolizisten, die die Kapelle in Wies ausräumen mussten, war es wohl auch ein Ärgernis, dieser Jesus am Kreuz. Wir kennen nicht ihre Motive, aber wir kennen das Ergebnis: Der Gekreuzigte ohne Arme, ohne Hände, aufgehängt am Grenzpfahl, so als wollten sie ihm den Atem nehmen und das Genick brechen. Wir wissen nicht die Motive, aber die Symbolik ist reich. Die Kriminalistik würde hier von einem „Overkill“ reden, einer „Übertötung“.

Für uns Christen mit dem Glauben an die österliche Auferstehung ist es ein unglaubliches Zeichen des Trostes. Es ist ein Trost für die, die Unrecht erlitten, die geschlagen wurden, vielleicht sogar in der Familie. Oder die missbraucht wurden. Es ist ein Trost für jene, die im übertragenen Sinne keine Hände mehr haben, weil sie krank sind und nicht mehr arbeiten können.

Es ist aber auch ein Ansporn, Hand Jesu zu sein. Er hat keine Hände, nur unsere Hände, um Menschen zu helfen. Der christliche Glaube kennt nicht nur betende Hände, sondern anpackende und helfende Hände. Glauben ist ein Tunwort.

Dass dieses Zeichen, der Geschändete Heiland, in dieser Kirche zur Verehrung angebracht ist, zeigt, dass es ein Haus des Kreuzes ist. Und dies war es von Anfang der Klostergründung an.

  1. Die Zisterzienser 
    sind im 12. Jahrhundert als Reformorden aufgetreten. Unter anderem sollten eine zisterziensische Kirche jedenfalls ein Kreuz und ein Marienbild haben. Wenigstens das.

In der Waldsassener Basilika ist dies im Hauptaltarbild schön dargestellt: Der Gekreuzigte und Maria unter dem Kreuz zusammen mit Johannes, dem zweiten Patron der Kirche.

Vom heiligen Konrad von Parzham, dem einfachen Klosterpförtner von Altötting und Diözesanpatron von Passau, stammt die Aussage: „Das Kreuz ist mein Buch.“

Der heilige Konrad hatte keine Bibliotheken studiert, so wichtig die auch waren und sind. Er hat aufs Kreuz geschaut, und er ist uns für diese Kirche auch ein großes Vorbild: auf den Gekreuzigten zu schauen, was Jesus auf sich genommen hat an Unrecht und Schmähungen. Dass er unsere Sünden und unser Versagen mitgetragen hat. Aber dass die Liebe stärker ist und jeden Schmerz und sogar den Tod besiegt.

Ich habe mal einen orthodoxen Christen gefragt, was ihm beim Betrachten einer Christus-Ikone am wichtigsten ist. Ich dachte eher an gewisse Maltechniken, an die Holzqualität, an die Goldauflage, usw. Da lächelte er ein bisschen und meinte: Am Wichtigsten ist mir, dass Christus mich durch die Ikone anschaut und dabei segnet.

Liebe Mitchristen, das hat mich ein wenig beschämt, aber ich denke mir: Das gilt für uns in besonderer Weise, wenn wir auf das Kreuz und auf den gekreuzigten Jesus schauen: Dass zuerst er unsanschaut und uns segnet mit seinen ausgebreiteten Armen.

3. Neben dem Haus des Kreuzes  
ist diese Basilika aber noch etwas anders: ein Haus der Barmherzigkeit. Das mag zunächst etwas überraschen. Doch wer in diese Kirche hereinkommt, dem fallen gleich die vielen Beichtstühle auf. Auch wenn sie nicht mehr so wie früher benutzt werden, sind sie eine Einladung.

Im Dekret für die päpstlichen Basiliken ist auch verfügt, dass in dieser Kirche ein besonderes Angebot an Beichten und an anderen Formen der Versöhnung gemacht wird.

Vorbild ist hier das Haus des barmherzigen Vaters, von dem wir im Evangelium gehört haben. Das Haus des barmherzigen Vaters in seiner ganzen Bedeutungsbreite auch für uns heute: Es ist ein Haus, das Verluste erleidet. Der Sohn geht. Ein wichtiger Teil der Jugend ist weg und nimmt Schaffenskraft und Vermögen mit. Die Da-Gebliebenen sollen immer mehr arbeiten, sie arrangieren sich mit der Situation und werkeln verbissen weiter.

Und dann kommt wieder wer, nach langer Zeit, nach all dem, was geschehen ist. „Der Vater sah ihn schon von Weitem kommen“, heißt es im Evangelium. Das Haus ist keine abgeschlossene Burg, sondern ein Empfangsraum.

Viele Malereien stellen den Vater dar, wie er von Weitem den heimkehrenden Sohn erblickt und ihm mit ausgebreiteten Armen entgegengeht. Das ist das Haus der Barmherzigkeit: eine Basilika, die offen ist, die diejenigen sieht, die diese offenen Arme suchen, die heimkommen und bereit sind, von vorne anzufangen.

Das ist auch eine Herausforderung für jede Pfarrei und die verschiedenen Verbände und Gruppen darin: wie diese Basilika ein Haus der Barmherzigkeit zu sein, mit aufmerksamem Blick und offenen Armen.

Und wenn sich in den nächsten Jahrzehnten unsere Zahlen kleiner werden, dann gilt das in nochmals neuer Weise. In 30 Jahren werden wir vielleicht noch die Hälfte an Katholiken sein in unserer Diözese, noch die Hälfte an Priestern und wir werden die Hälfte an Finanzen zur Verfügung haben.

Dies macht es besonders nötig, ein offenes Haus zu sein, vielleicht Schwerpunktpfarrei, jedenfalls offen für die Mitchristen der anderen Pfarreien, mit denen wir enger zusammenrücken müssen. Nur so erleben wir auch künftig Kirche als Gemeinschaft.

4. Schließlich ist diese Basilika ein Haus des Evangeliums.
Ja, sie ist voll davon. Egal, ob wir in der Bibel lesen oder Glaubenssätze schreiben können, hier können wir in Bildern und Figuren, in Formen und Farben die christliche Frohbotschaft anschauen, bedenken und darüber beten.

Und hier können wir dies alles nicht nur beten, sondern auch singen. In dieser Basilika wird die Kirchenmusik sehr intensiv gepflegt, auch das ein Kennzeichen und eine Bedingung für eine Päpstliche Basilika. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch an Anton Zimmert und Otto Rieger erinnern, sowie an viele, die hier all die Jahrzehnte aufgebaut und aktiv gewirkt haben, damit in dieser Basilika nicht nur gebetet, sondern auch gesungen und gespielt wird.

An der Decke sind die Geheimnisse des Rosenkranzes angebracht, die das Leben Jesu darstellen, von der Geburt bis zur Ehrung seiner Mutter im Himmel. Die Propheten in der Höhe und die Bilder des Chorgestühls nehmen das Alte Testament auf, die vielen Hinweise auf Christus, auf seine Erlösung für uns alle. Die neun Altäre sind gefüllt mit Figuren von Heiligen, die uns Vorbild im Glauben sind, und die wir um ihre Hilfe und ihre Fürsprache bitten können. Die vielen Engel erinnern uns an mächtige Helfer zwischen Himmel und Erde. Und die unzähligen Tiere und Pflanzen mahnen uns an unsere Verantwortung für diese Welt, auf die Zusammenhänge der Natur zu achten, deren Teil wir sind und sie nicht kaputt zu machen.

Schließlich die Heiligen Leiber: Sie erinnern uns an das bittere Schicksal der Märtyrer, die am Glauben festgehalten haben, obwohl sie nicht viele waren, obwohl sie belächelt und schließlich verfolgt wurden. Die nachfolgenden Christen haben sie zutiefst verehrt und ihre Erinnerungsstücke, ihre Reliquien reich ausgeschmückt, als wären es lebendige Mitgläubige und Heilige von nebenan. Sie sind uns eine Mahnung und eine Freude: Eine Mahnung, dass wir sterben müssen, jeder von uns. Und eine Freude, dass wir an den Ostermorgen glauben und an unsere Auferweckung durch Christus. Wir dürfen uns auf den Himmel freuen, rufen sie uns zu, wenn wir vorbeigehen. Und sie deuten durch ihr Hiersein auf Maria am linken Seitenaltar und in der zentralen Kuppel, wo sie mit den Heiligen des Himmels versammelt ist.

Das ist unsere Lebens-Perspektive: nicht siebzig, achtzig oder neunzig Jahre, sondern geborgen zu sein in der ewigen Liebe des Vaters im Himmel, in der Gemeinschaft der Vollendeten.

Im Kugeltabernakel dieser Basilika spiegelt sich dies alles, die ganze Fülle und Vielfalt und wird einfach in dem Brot, in dem sich Christus zur Speise gibt. Wie in einem Brennglas kommen die vielen Strahlen und Lichter zusammen. „Der Glaube ist einfach“, hat Papst Benedikt einmal gesagt.

Und Papst Franziskus hat uns Katholiken in Deutschland vor einigen Wochen dazu aufgerufen, dieses Evangelium weiter zu sagen. Er spricht von einer Priorität der Evangelisierung: Sie sollte das „Leitkriterium schlechthin“ sein, „unter dem wir alle Schritte erkennen können, die wir als kirchliche Gemeinschaft gerufen sind, in Gang zu setzen“.

Diese Basilika als Haus des Evangeliums ist daher kein Selbstzweck. Es genügt nicht, sie wegen ihrer Kunst zu bewundern, Postkarten zu drucken und sie kunstgeschichtlich zu erforschen. Diese Basilika will reden. Sie will zu uns reden und zu den Menschen, die sie noch nicht kennen. Und sie tut es durch ihre Schönheit der Kunst wie mit einem schönen Lächeln, mit ihrem ganzen Charme.

Wenn der Geschändete Heiland aufgehängt wurde, dann hatte er keine Stimme mehr. Wir können auch beten: „Er hat keine Stimme, nur unsere Stimme, um Menschen von ihm zu erzählen.“ Auch das gehört zu einer Alphabetisierung im Glauben: sprachfähig zu werden: Wie erkläre ich es mir selbst, wie sage ich es den Kindern, wie sage ich es den Mitchristen?

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

50 Jahre Basilika Waldsassen: ein Haus des Kreuzes, der Barmherzigkeit und des Evangeliums. Feiern wir dieses Jubiläum als großen Ansporn für uns alle, als Zeichen der Ermutigung: Gott ist bei uns, und wir bei ihm. Dies wird uns in jeder Eucharistiefeier besonders deutlich, wenn wir ihm unsere bescheidenen Gaben bringen und er Brot und Wein verwandelt und mit ihnen uns verwandelt in seinen Leib und sein Blut. So baut er uns auf zu seinem lebendigen Haus mit Maria und den Heiligen, zum Haus des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

AMEN.

Der Generalvikar des Bistums Regensburg,
Prälat Michael Fuchs
Waldsassen, am 15.09.2019