Sich in der Fastenzeit in respektvollem Umgang üben

von Gertrud Hankl, 60 Jahre
Gemeindereferentin in Waldsassen und Supervisorin/Couch in der pastoralen Beratungsstelle der Diözese
Bildrechte: Christina Schmidt

Die Fastenzeit dauert nun schon mehr als 4 Wochen lang. Fasten im christlichen Sinne ist eine Zeit der Vorbereitung auf Ostern hin. Wir Christen und Christinnen sind eingeladen zu fasten mit all unseren Sinnen, besonders auch mit dem Herzen.
Die Fastenzeit ist auch immer die Zeit, in der wir besonders eingeladen sind, unseren Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu lenken. Besonders der Misereor Sonntag, am morgigen 5. Fasten-sonntag, konfrontiert uns mit dem Leben und den Problemen der Menschen weltweit.
„Da kann man ja doch nichts machen! Was könnte ich da schon ausrichten! Meine paar Euro helfen da auch nicht weiter! Da muss die Politik was machen! Die sind da gefordert!“ Solche (Aus-) Reden höre ich dann häufig, wenn das Gespräch auf die Spendenbereit-schaft und den Aufruf zur Unterstützung der Armen kommt.
Gerade dann fällt mir ein Satz ein, aus dem Lied „deine Schuld“ von der Band „die Ärzte“. Da heißt es: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt so ist, wie sie ist. Es wäre deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ Die Liedzeile zeigt mir, dass ich nichts dafürkann, dass es Ungerechtig-keiten gibt, Terror, Leid und Tod.

„Es ist nicht meine Schuld, dass die Welt so ist, wie sie ist. Es wäre meine Schuld, wenn sie so bleibt“: an mir liegt es also, mit meiner Kraft, mit meinen Fähigkeiten – und auch mit meinen Grenzen – die Welt zum Positiven zu verändern. Ich kann sehr wohl für mehr Frieden und weniger Streit sorgen, indem ich respektvoll und wertschätzend meinen Mitmenschen begegne. Ich kann vielleicht nicht eingreifen in korrupte Machenschaften in vielen Ländern, aber ich kann sehr wohl die Armut verringern, indem ich seriöse Hilfsorganisationen unterstütze. Ich kann mich sehr wohl für die Lebensumstände so vieler leidtragender Menschen interessieren und nicht wegschalten, wenn mir der Schmerz und das Leid dieser Armen am Bildschirm oder auch in der Zeitung vor Augen geführt wird. Ich kann sehr wohl all diese Geschundenen in meine Gebete einschließen. Ich kann sehr wohl etwas dazu beitragen, dass die Vielfalt unserer Umwelt erhalten bleibt. Ich kann sehr wohl die Einsamkeit eines Menschen lindern, indem ich ihn besuche, Zeit für ihn habe und zuhöre. Ich kann sehr wohl meine Hilfe anbieten, wenn andere leiden oder durch Schmerzen gehandicapt sind. Ich kann sehr wohl da sein für Menschen, die sich auf ihren letzten Weg vorbereiten oder für deren Verwandte. Das kann ich tun – und ich soll es tun. Meine Verantwortung ist es, meine Welt besser zu machen, damit sie eben nicht so bleibt, wie ich sie vorfinde.
Gerade an diesem Wochenende sind die Gläubigen eingeladen, ihre Herzen zu öffnen, damit die Not und das Leid der Vielen, ihnen buchstäblich zu Herzen geht.  Gerade das offene Herz für andere, das „sich Einsetzen“ für andere, macht uns zu einem christlichen Menschen. Jakobus macht dies in seinem Brief sehr deutlich:
„Meine Brüder (und Schwestern), was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten?“ (Jak 2,14) und „Denn wie der Körper ohne den Geist tot ist, so ist auch der Glaube tot ohne Werke.“ (Jak 2,26) Einen Glauben nur für sich alleine, Christsein ohne die anderen, geht eben nicht. Genau das wollte Jesus den Menschen lernen: „Liebe Gott und den Nächsten wie dich selbst!“  Es geht eben nicht darum, dass ich alleine in den Himmel komme und nur mich und meine Seele zu retten versuche.
Jesus zeigte uns durch sein Leben ganz eindringlich, was es heißt, ihm nachzufolgen, also christlich zu sein. Daher müssen wir uns immer wieder neu fragen: wann folge ich Jesus wirklich nach in meinem Leben, wo zeigt sich mein Christsein in meinem Reden, Handeln und Tun? Und wie oft gehe ich traurig von dannen, weil das Christsein mehr von mir fordert und verlangt, als ich bereit bin zu geben und zu tun.
Es gilt für uns, Jesu unvergleichliche Art nachzuahmen und den Menschen so zu begegnen, wie er es tat. Was war aber das ganz Außergewöhnliche und Besondere an Jesus? Es war seine Wertschätzung für alles und jeden, sein Verständnis, seine Hilfe und der Respekt, mit dem er anderen begegnete, sein Wohlwollen und seine unendliche Liebe. So richtete er die Menschen auf und heilte sie an Leib und Seele. Wer mit Jesus zusammentraf, erlebte Veränderung und Befreiung aus den Verstrickungen des persönlichen Lebens. Jesus wollte Gott als den Verzeihenden, Gütigen und Barmherzigen unter den Zuhörenden vorstellen. Ein Gott, der auf der Seite der Schwachen und Armen steht, der den Kindern und Frauen Beachtung schenkt, der den Sünder liebt und unendlich oft verzeiht.
Dazu fällt mir die Geschichte vom großzügigen König ein: ein König sollte folgendes Urteil unterschreiben: „Gnade unmöglich, im Gefängnis lassen!“ Da dachte er bei dem Urteil an die Zukunft des Mannes, an seine Familie. Daraufhin änderte er es und schrieb: „Gnade, unmöglich im Gefängnis lassen!“ Der König machte nur eine Kommaverschiebung. So lautete das Urteil nun auf Freispruch.
Gott macht bei uns auch ständig solche „Kommaverschiebungen“. Gott weiß um unsere Unzulänglichkeiten und unsere oft kläglichen Versuche, das Leben nach seinen Geboten zu meistern. Er kennt unser Mühen und unsere Sehnsüchte. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen macht er immer wieder neu eine „Komma-verschiebung“ im Urteil über uns und lässt uns Gnade zuteilwerden. Die Freude über dieses Geschenk dürfen wir an Ostern feiern und jeden Sonntag des Jahres.